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  Huxley's Neue Welt
 

Huxley's Neue Welt



Ungarische Tierschützer hatten in einer Abdeckerei einen alten English Setter Buben entdeckt – sehr dünn, wie sie sagten und traurig. Da mein Faible für alte Setter wohlbekannt ist, fragten sie, ob ich ihn übernehmen könnte … natürlich konnte ich. Es gibt immer wieder Leute und Vereine im Tierschutz, die den Wert eines Hundes daran messen, wie lange er noch auf dieser Welt zu leben hat – bei den Tierfreunden gab es noch nie Diskussionen dieser Art. Die Alten auf ihrem Weg in ein neues Leben zu begleiten oder mit ihnen zusammen den letzten Weg zu gehen, war immer eines der ehrenhaftesten Anliegen unseres Vereins. Und dafür bin ich dankbar!
Also kam er heraus, aus dieser Tötungsanstalt und als erstes zum Tierarzt. Die Diagnose war niederschmetternd – ein riesiger Tumor am Hals mit Metastasen in der Lunge. Man empfahl per Telefon, ihn sofort einschläfern zu lassen. Auf meine Fragen, ob Huxley (wie ihn die ungarischen Tierschützer getauft hatten) aufstehe, fresse, mit dem Schwanz wedle oder Schmerzen habe, waren die Antworten dreimal ja und einmal „er macht nicht den Eindruck“. Zwei Tage später musste mein Auto schon sehr leiden, auf dem Weg nach Ungarn. Seine ehemalige „Familie“ hatte wenigstens eines in seinem Leben richtig gemacht – ihn mit einem gültigen Impfpass zum töten abgegeben, auch wenn sie ihn sonst nicht gerade vorbildlich behandelt hatten. Huxley war wirklich klapperdürr – mit gut 20 kg war er wie eine Feder in meinen Armen. Keine 6 Stunden später bei mir zu Hause angekommen, spazierte er in meine Wohnung, als ob er noch nie etwas anderes getan hätte, wurde von meinem kleinen Setterrudel wie ein alter Bekannter begrüßt und folgte meinem Mann Rudi und mir von Stund an wie ein Schatten. Sorgen machte er uns schon, wollte er doch die ersten beiden Tage nichts essen und vor allem nichts trinken. Stunden verbrachten wir beim Tierarzt mit Infusionen. Die freundlichste Prognose lautete auf eine Woche, wenn es gut liefe vielleicht zwei. Nun, das wollen wir ja erstmal sehen war meine Antwort. Bereits am Tag seiner Ankunft hatte eine Bekannte vom ungarischen Setterclub herausgefunden, dass Huxley eigentlich György hieß, gute 12 Jahre alt ist und einer renommierten jagdlichen Zucht entstammte. Das hatte ihm wahrlich wenig genützt und war eigentlich auch wurscht. Fortan riefen wir ihn also György und kurze Zeit später erwischten wir ihn, wie er von der Terrasse das frische Regenwasser schlabberte. In langen Diskussionen konnten wir uns auf einen ihm angenehmen Napf einigen. Fleißig erarbeiteten wir Menüvorschläge und zögerlich fing er an zu fressen – was er den einen Tag mochte, konnten wir uns am nächsten allerdings schon wieder in die Haare schmieren. Irgendwann klaute György eine dänische Torte – und fraß den Zuckerguss und eine gute Ecke vom Kuchen. Zugegebenermaßen war er der erste Hund, der bei uns für Diebstahl belohnt wurde und der Rest der Setterbande schaute ziemlich dumm aus der Wäsche. Er durfte den Kuchen aufessen, teilte allerdings königlich mit den anderen des kleinen Rudels.



Ab da ging es bergauf. Gebratenes Hackfleisch (uns gelang es mehrmals, ihm darin Hundefutter unterzumogeln bis er uns erwischte und es gnadenlos aussortierte), Sahnesoße, Wienerwürstchen, fetten Frischkäse und ab und zu mal eine Semmel – seine besondere Vorliebe für dänische Torte blieb. Sollte er es haben! Noch immer hatte ich die Worte des Tierarztes im Ohr „Rein, was rein geht – egal was und egal wie!“. Eines Tages besuchte uns Marion Schmelzing von den „Grauen Schnauzen“, die meine persönliche Affinität zu alten Settern teilt – im Gepäck hatte sie eine dicke Futterspende, darunter auch Karottensnacks, die György mit Heißhunger vertilgte. Fortan flog er über die Felder, trabte mit Anmut Spuren hinterher und blieb verzückt stehen, wenn er auf einen im hohen Gras sitzenden Fasan oder eine Familie Rebhühner stieß. Das Faszinierendste waren jedoch seine Augen – es waren die Augen eines jungen Hundes und die ganze Welt spiegelte sich darin wider. Genau genommen staunte er Bauklötzer. Er war überaus freundlich, gehorsam und loyal. Schon das leiseste „György, kommen!“ holte ihn lachend an unsere Seite zurück, eine Leine war schon lange nicht mehr notwendig. Zu anderen Hunden war er sehr zuvorkommend – bis auf eine Ausnahme: der Anblick schwarzer Hündinnen ließ ihn innerhalb eines Bruchteils von Sekunden zur Sexmachine mutieren und ich befürchte, bei der schwarzen Damenwelt genoss er zu Recht den zweifelhaften Ruf eines Casanovas und Schürzenjägers. Abends konnte er stundenlang mit seinem besonderen Spezl, dem alten blinden Hator Pfote an Pfote zusammen liegen. Da beide Buben auch noch ausgerechnet aus der gleichen Abdeckerei stammen, hatten sie sich wahrscheinlich viel zu erzählen – was es war, habe ich nie erfahren, aber oft sah ich ein glückliches Lächeln auf ihren Gesichtern. Nachts schlief er auf einer Decke vor meinem Bett. Meine zahllosen Versuche, ihm dicke Hundekissen zum Schlafen anzubieten, wurden höflich aber bestimmt zurück gewiesen – eine Decke reiche ihm völlig. Beim ersten Piepser des Weckers stand er jeden Morgen freudestrahlend am Bett, lachte, alberte herum und meinte „Aufstehen, ihr Schlafmützen! Es ist schon hell und die Vögel singen …. es ist ein guter Tag zum jagen!“ Wenn es regnete, muss er dabei eine reichlich komische Figur gemacht haben – weil ich fürchtete, er könne sich erkälten, bekam er ein rotes Mäntelchen angezogen. Auch das duldete er mit einem milden Lächeln und trug ihn mit aristokratischer Würde, wie es wohl nur ein Setter kann. So flogen die Tage dahin, aus einer Woche wurden zwei, aus zwei Wochen ein Monat und mehr. Eines Tages verschlimmerte sich sein von den Lungentumoren verursachter Husten sehr und er erklärte uns, dass es nun Zeit würde, Zeit zu gehen. Als der Tierarzt kam, reichte er ihm wie selbstverständlich die linke Pfote. Ich hatte meinen Arm um ihn gelegt und bereits nach der Narkosespritze hörte sein Herz auf zu schlagen. So ging er geliebt über den Regenbogen, ungebrochen, mit einem großen Herzen, stolz und aus freiem Willen; Huxley, der eigentlich György hieß und der mir einmal mehr bewusst gemacht hat, dass über ein Monat ein ganzes Leben aufwiegen kann, wenn man nur will!
Wir haben ihn auf dem Tierfriedhof begraben. Links das Beagle-Mix-Mädel Buffy, rechts die kleinen Jagdhundmixbuben Klausi und Walter, in seinem Rücken die alte Münsterländerin Elfie, die bereits vor ihm auf unserem kleinen Tiergnadenhof über den Regenbogen gegangen sind. Eine wirklich angemessene Gesellschaft für einen großen Jäger.
 
Möglich gemacht haben all dies Györgys Paten und Spender, denen an dieser Stelle auch einmal ein herzliches Dankeschön ausgesprochen werden soll!
(sb)



 
 
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