Die großen alten Herren der Setterburg
Es war Ende Januar 2010, als ich einmal wieder eine e-mail aus Ungarn bekam. Ein steinalter English Setter sitzt in einer Wohnung, allein, weil sein Besitzer überraschend verstorben ist und wird nun eher notdürftig von den Nachbarn versorgt. Die beiden angehängten Bilder zeigten einen dunkel gefärbten gebeugten Hund mit einem irren Blick in einer trostlosen fast vollständig leer geräumten Wohnung. 2 Schüsseln, ein Halsband und eine Decke waren sein vollständig verbliebener Besitz. Lord war sein Name, aber aristokratisch war so gar nichts an diesem alten Hund. Aber es gab noch ein drittes Foto, auf dem ein jugendlicher Lord im Anzug und mit Fliege einer Hochzeit beiwohnte – ein Bild, auf dem er stolz in die Kamera lachte. Ein Foto aus besseren Tagen!
Es war, wie es in den meisten dieser Fälle ist: Die Eigentumswohnung war bei den Erben willkommen und sollte nun verkauft werden, der alte Lord war es nicht. Die Setterburg war einmal wieder überfüllt, aber ich versprach, für ihn eine Lösung zu finden und schaltete diverse Anzeigen im Internet mit der Bitte um eine Pflegestelle. Meine Bitte blieb nicht unbeantwortet und es meldeten sich mehrere Interessenten, die Lord gerne für die letzte Zeit seines Lebens begleiten wollten. Zwischenzeitlich waren unsere ungarischen Tierschutzkollegen vor Ort, um einmal nach dem Hund zu schauen und ein paar mehr Angaben zu ihm machen zu können. Die ernüchternden Nachrichten lauteten, dass Lords Rücken schlicht und ergreifend eine Katastrophe sei, er aber fröhlich und aufgeregt war. Klapperdürr und vernachlässigt lautete die Beschreibung, denn Lord lebte seit sage und schreibe 3 Monaten alleine in „seiner“ Wohnung. Die Nachbarn schauten ein paar mal am Tag vorbei, brachten ihn runter in den Hof, fütterten ihn und gaben ihm seine Medikamente gegen den schmerzenden Rücken. Mehr konnten sie für den alten Knaben nicht tun. Umso erfreuter war er, als sich endlich einmal wieder jemand mit ihm richtig beschäftigte und sich Zeit für ihn nahm. Sein trauriger Blick sprach Bände, als die ungarischen Tierschutzkollegen die Wohnung wieder verließen.
Ich weiß heute noch nicht warum ich mich eigentlich für diese Vorgehensweise entschieden habe, aber ich beschloss, den Lord erstmal für ein paar Tage direkt zu uns in die Setterburg zu holen, um ihn nochmals komplett medizinisch durchchecken zu lassen, bevor ich ihn aus der Hand gab. Also setzte ich mich ins Auto und fuhr nach Ungarn. An diesem Tag im März 2010 nahmen Lord die Erben seines verstorbenen Herrchens alles, was er noch besaß – er durfte weder Decke noch Näpfe mitnehmen, das Halsband wurde abgebunden und die Schmerztabletten zurück zum Tierarzt gebracht. Das Geld für den europäischen Impfausweis knöpften sie mir ab. Und so kam es, dass Lord mit nichts weiter als seinem Fell auf dem Leib in die Setterburg einzog und ich, wie schon so oft, meinen Ärger herunter schlucken musste.
Lord musste einmal in seinem Leben ein stolzer und großrahmiger Rüde gewesen sein. Mit seinen 67 cm Schulterhöhe geradezu gigantisch für einen Engländer. Nun schlich er gramgebeugt und mit schmerzenden Gliedern in unsere Wohnung. Er begrüßte kurz die anderen Hunde, um ins Wohnzimmer zu tapsen. Dort erstarrte er. Seine Augen wurden so groß wie Teetassen – und mit einem Satz landete er auf der Couch, streckte sich aus und schlief ein. Oh, die Couch, die kannte er nur zu gut und ich bekam einen schwachen Schimmer davon, welch gutes Leben der alte Lord bei seinem ehemaligen Besitzer einmal geführt hatte. Und wie hatte er die letzten Monate gelitten. Nach ein paar Tagen hatte er uns voll im Griff und bekam seinen Spitznamen Terrorist. Wenn er irgendetwas wollte – und Lordi wusste ziemlich genau, was er wollte – dann stellte er sich hin und kläffte einfach so lange, bis er es bekam. Und das konnte er ziemlich ausdauernd. Dabei zog er ein erwartungsvolles Gesicht, legte den Kopf schief und riss die Ohren nach oben. Er wollte auf die Couch gehoben werden, massiert werden, Fressen (dabei galt die Devise: Der Lordi darf essen was immer und wann immer er mag, denn er war wirklich klapperdürr und wog nur gute 21 kg) und schlicht und ergreifend Entertainment. Oft mussten wir lachen bei dem Gedanken, wie er früher wohl seinen alten Besitzer terrorisiert hatte. Das Wort Katastrophe traf es für die Beschreibung seines Rückens nicht wirklich, Desaster eher. Schon in den ersten Tagen des Zusammenlebens stellte sich heraus, dass er wirklich ernsthafte neurologische Probleme hatte und deshalb immer mal wieder ein paar Köttel Kacke im Schlaf verlor. Beim tierärztlichen Checkup standen zum Schluss drei Chirurgen und eine Internistin völlig fassungslos vor den Röntgenbildern, weil sie so eine Wirbelsäule noch nie im Leben gesehen hatten. Alte Bandscheibenvorfälle, Spondylosen und ein Verdacht auf Cauda Equina – die komplette Palette also. Hinzu kam ein nicht zu unterschätzender Herzfehler. Dem Lord war's egal, er flirtete in der Zwischenzeit lieber mit den Schwestern und ließ sich ein paar Leckerchen geben, tänzelte von einem Bein aufs andere und wedelte fleißig mit dem Schwanz, während sich die Ärzte darüber wunderten, dass er überhaupt stehen konnte. Ein paar Tage später kam der Mittelmeercheckup – Lord hatte eine Anaplasmose und musste erstmal für längere Zeit Antibiotika nehmen. Ich teilte also den Interessenten, die sich für Lord gemeldet hatten, die Ergebnisse mit und handelte uns eine Absage nach der anderen ein. Bei den meisten verstand ich es, denn Lord war auf Dauer ein Pflegefall mit diesem Rücken und die komplette Inkontinenz war abzusehen. Eine Dame schrieb mir, dass eine solche „Pissnelke“ (Zitat) von ihrem Mann nicht gewollt wäre und – korrekt hin oder her – ich pfiff auf die Professionalität und schrieb eine gepfefferte e-mail zurück. Nur eine Familie blieb bei ihrem Angebot und hatte das Herz auf dem rechten Fleck. Dort waren zum einen Treppen der Hinderungsgrund, auf der anderen Seite hatte sich Lord zu diesem Zeitpunkt bereits so bei uns eingelebt, dass ich ihn nicht mehr herausreißen mochte. Lord blieb also bei uns.
Lord war schlicht und ergreifend eine Bereicherung für unser kleines Tierschutzprojekt und zauberte uns immer wieder ein Lächeln ins Gesicht. Voller Lebensfreude war er und sprang schon bald wieder durch den Garten. Rücken hin oder her – er spielte mit den Jungspunden, forderte seine Gassirunden und nur all zu oft fuhren wir noch einmal extra mit ihm in den Wald, um eine kleine Runde zu drehen, weil er die großen mit den anderen Hunden nicht mehr geschafft hätte. In der Wahl seines Fressens war er sehr eigen. War es an dem einen Tag noch Fleisch, sollte es am nächsten Trockenfutter sein. Die eine Fleischsorte, die er am Morgen noch mit Hochgenuss gefressen hatte, mochte er schon am Abend nicht mehr. Haute er mittags in das Trockenfutter im Napf, musste man es am Abend in einzelnen Kugeln per Hand anbieten. Und manchmal mussten die einzelnen Trockenfutterkugeln mit ein wenig Leberwurst verfeinert sein. Allerdings hatten wir hier das gleiche Problem und Lord präferierte von Fütterung zu Fütterung ständig andere Sorten von Leberwurst. Zum Schluss hielten wir ständig 3 verschiedene Trockenfuttersorten, 3 verschiedene Leberwürste und 3 verschiedene Fleischsorten bereit und Lordi durfte wählen – und das nach Herzenslust. Wenn er auf die Couch wollte, stellte er sich davor und bellte einfach solange, bis jemand kam und ihm darauf half. Zumindest wenn wir da waren – kamen wir von der Arbeit, lag er immer selig schlummernd auf dieser, er schaffte es also eigentlich auch alleine hoch. Aber es war natürlich viel bequemer, nach dem Personal zu rufen. Ich sagte dann immer „Ich eile, Eure Lordschaft, ich eile!“ und er bekam, was auch immer er wollte. Überhaupt die Couch – viel zu klein war das Ding für alle Setterburgler, die gerne auf ihr rumlümmeln wollten. Und zu schmal auch noch, denn Lord rutschte beim Umdrehen nur zu oft vom Sofarand. Also gab es nur eine Lösung: Eine neue Couch musste her und zwar eine möglichst große. Richtig groß – ein Megasofa quasi! Ich wurde relativ schnell im Internet fündig und telefonierte mit dem Anbieter, denn sie sollte nicht nur groß, sondern auch möglichst robust sein. Als ich ihm schilderte, dass ich das Teil für unsere Hunde bestellen möchte, zögerte er kurz am Telefon, wahrscheinlich dachte er kurz darüber nach, ob es sich um einen Scherzanruf handeln könnte. Mitnichten! Ich ließ diverse Stoffproben kommen und letztendlich entschied ich mich für ein tiefrotes Modell, das am besten zu Lords Farbe passte. Dekadent wie ich war, hatte ich die Stoffproben an Seine Lordschaft gehalten. Lord war damit der erste Hund in der Geschichte der Setterburg, der eine eigene Couch geschenkt bekam. Und er sah unglaublich edel aus, auf seinem neuen Thron. Rudi und die anderen hatten noch immer Platz, nur mir blieb weiterhin der etwas unbequeme Fernsehsessel vorbehalten und ich durfte den anderen beim bequemen Liegen und Schnarchen zuschauen. Und Lord konnte in einer Lautstärke schnarchen, dass förmlich die Wände wackelten.
Eines Tages kamen wir von unserem langen Waldspaziergang nach Hause. Etwas war anders als sonst, denn kein fröhlicher Lord kam uns entgegengehampelt und es war bedrückend still. Lord lag im Wohnzimmer in der Kudde, die Beine unnatürlich steif von sich gestreckt, die Augen rollten wild hin und her und er speichelte wie verrückt. Wir bekamen den Schreck unseres Lebens. Schlag- oder epileptischer Anfall waren meine ersten Gedanken und ich habe ihn sofort eingepackt und zum Tierarzt gefahren. Es war weder das eine noch das andere, sondern ein Vestibularsyndrom. Die mangelnde Durchblutung hatte seinen Gleichgewichtssinn im Ohr außer Kraft gesetzt. Drei Tage verbrachten wir mit Infusionen beim Tierarzt. Dem Lord wars schwindelig und dadurch schlicht und ergreifend kotzübel, so muss man sich nach 24 Stunden Dauerkarussellfahren fühlen. Langsam hörten die schnellen Augenbewegungen auf, gerade stehen konnte der Bub aber immer noch nicht und wir mussten ihn stützen, damit er nicht umfiel. Die ganze Wohnung wurde sicher abgepolstert, damit sich Seine Lordschaft ja nicht verletzte, wenn er mal wieder das Gleichgewicht verlor oder durch die Gänge torkelte - und wir ließen ihn quasi keinen Schritt mehr alleine laufen. Ich wälzte Literatur und telefonierte mit Physiotherapeuten und schließlich entwarfen wir im Garten einen kleinen Hindernisparcours mit Slalom und auf dem Boden liegenden Besenstielen, um seinen Gleichgewichtssinn zu trainieren. Fleißig übten wir mit ihm jeden Tag, führten Lord vorsichtig um die Stangen, hoben jedes Bein einzeln an, wenn er über die Stiele steigen musste, gaben ihm Halt, wo wir nur konnten. Langsam fing er wieder an zu fressen, die Übelkeit verschwand, er begann uns wieder nach allen Regeln der Kunst zu terrorisieren und es kam der Tag, als er wieder seine erste Runde alleine im Garten drehen konnte, ohne dass wir unterstützen mussten. Das war viele Tage nach dem Ausbruch des Vestibularsyndroms, aber die ganze Mühe hatte sich gelohnt. Lord steuerte auf seinen ersten Winter bei uns zu. Geblieben waren ihm eine Kopfschiefhaltung und hängendes Augenlid, was ihm letztendlich ein noch verwegeneren Aussehen bescherte. Irgendwie wirkte er nun wie eine Mischung aus dem Glöckner von Notre Dame und Long John Silver.
Es war ein harter Winter, mit viel Schnee. Lordi hatte immer mal wieder mit Rückenproblemen zu kämpfen, aber im Wesentlichen war er medikamentös gut eingestellt und hatte nicht nur Lebensfreude sondern auch Lebensqualität. Unsere Nachbarn müssen uns für endgültig durchgeknallt gehalten haben, als wir im Garten auf der Wiese anfingen, Schnee zu schieben. Es war so verdammt glatt auf den Straßen, dass Lord nicht mehr das Haus verlassen konnte, die Sturzgefahr war einfach zu hoch und sehr zu seinem Ärger habe ich ihm die Spaziergänge untersagt. Ein Sturz wäre fatal für seinen Rücken gewesen. Also tippelte er im Garten stundenlang herum, schaute nach dem Rechten – und das alles natürlich in dem Labyrinth, das nur für ihn mit dem Schneeschieber gebaut wurde.
Legendär waren unser beider abendlichen Gespräche. Lord fand es eines Abends einmal besonders lustig, sich vor mich hinzustellen. Leise begann er zu wuffen, bis er irgendwann den Kopf in den Nacken riss und lauthals bellte. Dabei schaute er mich immer an. Eines Tages erwiderte ich das. Erst wuffte ich leise zurück, bis sich auch mein Wuffen langsam in ein lautes Bellen steigerte. Lord hüpfte dabei aufgeregt hin und her und wackelte mit seinem Schädel von links nach rechts, bis er letztendlich mit riesigen Bocksprüngen kläffend durch das Wohnzimmer tobte. Wir landeten beide auf dem Teppich, wo wir uns vor Lachen wälzten. Das wiederholten wir fast jeden Abend, nur manchmal, manchmal verschlief er unseren Gesprächstermin lauthals vor sich hinschnarchend.
Der lange strenge Winter ging und der Frühling kam und mit ihm wieder Lords geliebte kleine Spaziergänge. Im Mai 2011 gab es einen Neueinzug in der Setterburg, einen alten Irish Setter Buben aus einer ungarischen Abdeckerei, ein alter Fundhund, von dem keiner so richtig wusste, wo er eigentlich herkam. Ich hatte ihn Barát genannt, Freund. Wie so viele vor ihm, spazierte er in unsere Wohnung, als ob er noch nie etwas anderes getan hatte. So, als ob er schon sein gesamtes Leben bei uns wohnen würde. Es war seltsam, aber er und Lord verhielten sich wie alte Freunde und vom ersten Augenblick der Begegnung mochten die beiden unkastrierten gleichgroßen alten Rüden sich. Oft teilten sie sich eine Kudde, stapften gemeinsam durch den Garten und machten Männersachen. Sie konnten sich stundenlang übermarkieren. Lord stampfte dabei immer mit den Vorderpfoten auf, bellte sein fröhliches Bellen und lachte sich halbkugelig, während Barát mit arrogant aristokratischer Miene sein Bein hob und dabei den Lord anschaute. Männer! Ich meinte dann immer „Jungs – ihr wisst fei schoa, dass des Prostataprobleme gibt, wenn ihr so weiter macht, ihr seid beide keine 5 mehr.“. Ich hätte mich ehrlich gesagt nicht gewundert, wenn sie beide irgendwann einmal zusammen in eine Wirtschaft getrabt wären.
Barát war deutlich fitter als Lord und er durfte mit uns in den Wald fahren. Schon bald konnte er zumindest in wildsicheren Gebieten abgeleint werden. Die Lachskekse in meiner Tasche machten es möglich. Er lief immer ein paar Schritte voraus, drehte um, kam zu mir gerannt, legte seinen großen mächtigen Schädel an meinen Oberschenkel und fragte vorsichtig, ob er eventuell noch einen von diesen leckeren Keksen habe dürfte. Und natürlich durfte er! Dabei trippelte er aufgeregt hin und her. Nur manchmal, wenn es allzugut roch, dann gingen die Pferde mit dem alten Barát durch und er bekam schnelle Beine – und zwar sehr schnelle Beine! Einmal ging er Rudi beim Spaziergang verloren. Gerade war er noch hinter ihm und als sich Rudi nach ein paar Metern umschaute, war Barát weg. Eine gute Viertelstunde später hatten sie sich wieder und zwar an genau der gleichen Stelle, an der der alte Setter wie vom Erdboden verschwunden war. Rudi berichtet noch heute gerne darüber, wie erleichtert sich beide in die Arme fielen, als sie sich sahen. Von diesem Augenblick an ließ Barát seine Meute nicht mehr aus den Augen, er hatte wohl Angst, dass wir Menschen uns verlaufen würden.
Es war ein glücklicher Sommer und ein glücklicher Herbst für uns alle. Lord und Barát lagen weiterhin gern zusammen, leckten sich gegenseitig die Schnauzen und unternahmen viel gemeinsam. Sie wirkten wie ein altes Ehepaar. Die beiden hatten sich gesucht und gefunden, obwohl es wohl nie unterschiedlichere Charaktere bei uns gegeben hatte. Lordi war ein übergriffiger Spaßvogel, dem das Wort Individualdistanz fremd war, leicht senil und doch so liebenswürdig. Barát dagegen war der vollkommene Gentleman, freundlich und zurückhaltend in allen Lebenslagen. Beide genossen die Gesellschaft des anderen und waren glücklich, wenn sie nur zusammen sein konnten.
Langsam forderte Lords Rückgrat seinen schmerzlichen Tribut. Er wurde komplett inkontinent. Konnten wir ihn im Herbst noch duschen, wurde das ab November unmöglich, denn wir merkten schnell, dass er mit jedem mal nasswerden noch mehr Rückenprobleme bekam. Ich bestellte also ein Trockenshampoo und musste lachen, als ich es erhielt. Wie immer hatte ich Wert auf ein tierversuchsfreies Produkt gelegt und auf der Flasche stand „Cruelity free – tested on humans first“. Lord wurde also eingeschäumt und danach gebürstet und trockengefönt. Dabei wurde ihm so mollig warm, dass er immer einschlief. Nachts musste er oft raus, so ganz hatte er das Gefühl für seine Blase noch nicht verloren. Also fingen wir an, mit ihm gemeinsam auf der Couch zu schlafen, die wir mittlerweile mit Inkontinenzunterlagen abgedeckt hatten, damit wir merkten, wenn er doch einmal unruhig wurde. Vor allem Rudi weckte er oft mehrmals in der Nacht, dann tippelte Seine Lordschaft lange im Garten herum, während er frierend an der Tür stand, um Lord wieder herein und auf die Couch zu lassen. Manchmal wechselten wir uns mitten in der Nacht ab, damit der jeweilig andere wenigstens ein paar Stunden zum Durchschlafen kam. Unsere Augenringe gingen in dieser Zeit bis unter unser Kinn. Trotz allem hatte Lordi noch immer viel Lebensfreude, terrorisierte uns nach Leibeskräften und ließ es krachen. Barát war meist an seiner Seite. Eines Tage beobachte ich eine Szene, als die beiden Buben mal wieder im Garten unterwegs waren. Lord stolperte und verlor das Gleichgewicht. Noch bevor ich da sein konnte, stand Barát neben ihm und fing ihn mit seiner Schulter ab. Da standen sie nun, Schulter an Schulter und Kopf und Kopf.
Der Dezember kam und mit ihm eines der dunkelsten Kapitel in der Geschichte der Setterburg. Barát ging es von einem Tag auf den anderen sehr schlecht. Die Diagnose beim Tierarzt lautete auf Darmverschluss durch einen Fremdkörper, auf dem Röntgenbild war die Stahlklammer eines Wurstzipfels zu erkennen. Ich fühlte mich unwohl, als ich der OP nach Zögern zustimmte. Die Prognose war gut, trotzdem hatte ich ein flaues Gefühl im Magen. Barát wurde stationär aufgenommen und operiert. Hinter der Wurstzipfelklammer wurde während der OP ein großes Geschwür entdeckt, deshalb war sie da hängen geblieben. Ich besuchte ihn jeden Tag, hielt seine Pfote und las ihm vor, während sein großer Rüdenschädel auf meinem Schoß lag. Innerlich zitterte ich. Lord baute in dieser Zeit ab. Am 17. Dezember konnte er nicht mehr aufstehen und wir sind zum Tierarzt. Noch einmal wollten wir es mit einer intensiven Schmerztherapie versuchen. Ich trug Lord zu Barát ins Zimmer. Da lagen sie nun wieder nebeneinander in einer Kudde, während sie sich ins Gesicht schauten. Und sie erkannten sich. Entspannt schliefen sie nebeneinander ein, während ich auf den Tierarzt wartete. Wir blieben viele Stunden bei unserem Baráti, auch noch, nachdem Lord seine Behandlung bekommen hatte. Als Barát fest eingeschlafen war, trug ich Lord vorsichtig nach draußen. Barát hat es nicht bemerkt. Das war das letzte mal, dass sich die großen alten Herren der Setterburg gesehen haben. Zwei Tage später wurde ich früh am Morgen aus der Tierklinik angerufen, Barát ginge es sehr schlecht. Ich machte mich sofort auf den Weg. Als ich in Baráts Zimmer kam, nahm ich sofort den Geruch wahr, den wohl nur sehr alte Hunde verströmen. Es roch nach Tod. Alles was ich noch für ihn tun konnte war, ihn auf seinem letzten Gang ein kleines Stück des Weges zu begleiten. Ich war wie gelähmt, ein glückliches halbes Jahr war einfach zu kurz. Ich rief auf dem Tierfriedhof an und bat darum, ein Grab vorzubereiten. Keine neun Stunden später folgte ihm Lord auf diesem Weg. Er hatte aufgegeben, sein Weg endete am gleichen Tag wie der seines Freundes Barát.
Wir haben sie gemeinsam auf dem Tierfriedhof begraben, auf dem alle unsere Hunde liegen, in einem gemeinsamen Grab. Dort lagen sie nebeneinander, wie sie es schon zu Lebzeiten immer getan hatten – Freunde im Leben und im Tod, die beiden ganz großen alten Herren der Setterburg, die für immer ihre Spuren in unseren Herzen hinterlassen haben.
(SB)